Mittwoch, 1. Dezember 2010

Türchen 1

Maja Padrutt bäckt sich Kinder
Eine Weihnachtsgeschichte von Tim Krohn

Etwas ausserhalb eines armen Städtchens in den Bergen, in einem kleinen grauen Haus, lebte Maja Padrutt mit ihrem Mann. Paul arbeitete wie alle Männer im Stollen. Die Padrutts waren etwas reicher als die meisten, weil sie keine Kinder hatten. Glücklich machte sie das aber nicht.

Eine Schar Kinder war alles, was Maja sich für ihr Leben gewünscht hatte, doch nicht einmal ein einziges, winzig kleines wollte kommen. Inzwischen sah sie so himmeltraurig drein, dass die Menschen die Strassenseite wechselten, wenn sie ins Städchen kam, die Hunde zogen den Schwanz ein und jaulten.

Noch trauriger wurde sie zur Weihnachtszeit. Der Engel, die Verkündung, die unbefleckte Empfängnis, das Kind in der Krippe - wie sehnte sie sich danach, an Mutter Marias Stelle zu sein! Von morgens bis spät sass sie am Fenster, sah in den fallenden Schnee und hoffte auf ein Wunder.

Sie war schon nicht mehr die Jüngste, als sie in einer Dezembernacht sonderbar träumte. Es war kein spektakulärer Traum, ihr wurde nur erst warm und licht im Herzen wie lange nicht mehr, dann sagte eine gutmütige Stimme: "Ein Kind willst du? Na, dann solltest du es dir wohl backen!"

"So ein Unsinn", murmelte Maja im Schlaf, sodass Paul erwachte. "So ein Unsinn", sagte sie zu sich auch am anderen Morgen, sobald sie sich an ihren Traum erinnerte. Doch die Wärme und das Lichte liessen sie nicht los. "Warum nicht wieder einmal backen?", dachte sie und stand für einmal fast fröhlich auf.

Im Lebensmittelladen kaufte sie Hefe und Mehl, dann knetete sie den Teig. Backen konnte Maja, sie hatte einst Hauswirtschaft studiert, die beste aller Mütter hatte sie sein wollen. Jetzt wunderte sie sich, wie schöne es doch war, den weichen warmen Teig zu kneten.

Aus dem Teig formte sie zwei Kinder, die backte sie und wickelte sie in Tücher. Sie sahen kaum anders aus als die Teigmännchen, die zu Sankt Nikolaus verkauft wurden. Die Kinder legte sie auf den Küchentisch, dann wartete sie darauf, dass etwas Wunderbares geschah, und schimpfte mit sich, dass sie so abergläubisch war.

Natürlich geschah nichts. Nur Paul rief, als er heim kam: "Wie das duftet!", und küsste sie gleich zweimal. "Wie lange du nicht mehr gebacken hast!", stellte er fest und umfasste ihr glühendes Gesicht. "Du siehst gleich zehn Jahre jünger aus", sagte er und küsste sie ein drittes Mal. Die Träne in ihrem Augenwinkel sah er nicht.

Als Maja zu Bett ging, war das Warme, Lichte nur noch eine Erinnerung. "Wie dumm ich war, mich an einen Traum zu hängen", sagte sie sich. Doch kaum war sie eingeschlafen, träumte sie fast denselben Traum ein zweites Mal. Nur mahnte sie diesmal die Stimme: "Denk daran, dein Kind will gut gezuckert sein!"

Am anderen Morgen konnte Maja es kaum erwarten, im Städtchen Zucker, Butter, Rosinen und Eier zu kaufen. All die Liebe, die sie so gern ihren Kindern gegeben hätte, knetete sie in den Teig. Die Teiglinge bestrich sie mit Eigelb, bestreute sie mit Hagelzucker und schob sie in den Ofen. Sie dufteten nach Kinderhaar, doch lebendig wurden sie nicht.

So ging es noch mehrmals, Abends schimpfte Maja sich einen Dummkopf und schwor dem ganzen Unsinn ab, nachts riet die Stimme ihr zu einem neuen Rezept, und schon war sie wieder verführt. So backte sie mit Mandeln und Zimt, mit Kardamom und Hirschhornsalz, Vanille und kandierten Früchten...

Paul wurde etwas ratlos. All das Gebäck, das sich inzwischen stapelte! "Wie schön, dass du etwas gefunden hast, das dir Freude bereitet", hatte er am dritten Tag gesagt. Am achten sagte er nur noch: "Du hast schon wieder gebacken." Am zwölften fragte er: "Wer soll das alles essen?" Maja sah ihn nur erschrocken an. "Essen?"

Im Städtchen wollte es der Brauch, dass in der dreizehnten Dezembernacht alle Kinder mit Glocken und Rasseln durch die Gassen zogen, sie klingelten bei jedem Haus und bettelten um Geld und Süsses. Nur zu Padrutts kam keiner - wer so finster drein sah wie Maja, verteilte bestimmt keine Geschenke.

Maja wunderte sich selbst darüber kein bisschen, sie verstand zu gut, dass man um Menschen wie sie einen Bogen machte. Auch dieses Jahr sagte sie zu Paul nur: "Hörst du die Kinder? Ist denn schon wieder der Dreizehnte?" "Muss wohl", murmelte Paul, mehr wusste er nicht zu sagen.

Wie erschrak Maja, als es am nächsten Mittag an der Tür klingelte. Ein kleiner Junge mir roter Nase, roten Backen und wachsbleichem Gesicht stand im Schnee und sagte das übliche Sprüchlein auf: "Gib Kaffee und Kuchen, Knecht Ruprecht hat gerufen." Maja starrte ihn erst sprachlos an, dann rief sie verwirrt: "Aber ich habe doch nichts!"

Der Junge schien seinen Mut schon zu bereuen. "Aber bei dir riecht es doch so gut", flüsterte er. "Alles missraten", sagte Maja zu dem Jungen, der sie mit grossen Augen ansah, dann quollen ihm Tränen über die Lider. Maja erschrak und schob ihn ins Haus. Wie klein und schmal er war!

Maxi hiess der Junge, und am Abend davor hatte er nicht mit den anderen Kindern betteln gehen dürfen, weil sein Vater ihn nachts nicht vor die Tür liess. "Ich will dich nicht auch noch verlieren", hatte er zu Maxi gesagt. Nur bei Tag durfte Maxi betteln gehen, und natürlich kam er überall zu spät.

Maxi strahlte, als er Majas Türme von Gebäck sah. "Wie reich du bist", rief er. "Wie viele Kinder du damit beschenken kannst!" Maja wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. "Da, nimm", sagte sie endlich und stopfte seine Tasche voll. Dann schickte sie ihn eilig wieder fort.

Am nächsten Tag kam Maxi wieder. "Ich habe Hunger", sagte er. "Deine Teigmännchen sind die besten auf der Welt." Maja wunderte sich und holte ihm noch ein paar ihrer missglückten Versuche, sich ein Kind zu backen. Maxi ging aber nicht weg. "Ich habe ganz kalte Füsse", sagte er und wartete, bis sie ihn hinein an den Ofen nahm.

Von da an kam Maxi jeden Nachmittag. Er machte bei Maja die Hausaufgaben, und manchmal brachte er Freunde mit. Sie nannten ihn Mini und waren nicht besonders nett zu ihm. Doch er freute sich, wenn ihnen Majas Gebäck schmeckte, und führte sich auf, als wäre er der Gastgeber.

Ihren Traum träumte Maja nicht mehr, und schliesslich backte sie auch keine Kinder mehr, sondern Sterne, Herzen und Spekulatius. Das Warme, Lichte blieb ihr trotzdem. Eines Abends wollte sie sogar mit Paul ins Wirtshaus. Sie kamen mit dem Wirt ins Gespräch, die anderen Gäste grüssten sie, und ein Hund legte sich auf ihre Füsse. Alles war anders.

Nun ja, manchmal weinte sie auch jetzt noch. "Ein bisschen traurig werde ich wohl immer sein", erklärte sie Maxi, als er sie dabei überraschte, und Maxi nickte und sagte: "Ich auch." Seine Mutter hatte in einer anderen Stadt wieder geheiratet und neue Kinder, und er sah sie nur selten.

Über Weihnachten allerdings durfte Maxi zu ihr fahren, und er strahlte. Das war einer der Momente, in denen Maja traurig wurde. Sie hatte gehofft, er käme mit den Kindern an Heiligabend zu ihr, und nochmals tüchtig gebacken. Maxi nahm dafür das Gebäck mit in die Schule und verteilte es, und Maja schenkte er eine Kerze, die er in der Schule gebastelt hatte.

3 Kommentare:

Lupe, der Satire-Blog hat gesagt…

da bin ich aber gespannt, auf die fortsetzung dieses lieblichen, harmonischen, gefühlvollen adventskalender.

schwarzer kafka hat gesagt…

Ich auch. Ganz in der Hoffnung, die Geschichte endet lieblich!

Anonym hat gesagt…

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