So lautete eine Schlagzeile im Aargauer Kurier am 23. Mai 1996. Gestern war bei mir - wieder einmal - eine Büro-Räumung angesagt und es geriet mir ein sehr verstaubter Ordner in die Finger, in welchem ich sämtliche Artikel/Flyer/Pressemitteilungen um und über den "heissen Sommer" 1996 bzw. über die ELCALOR-Besetzung im Herbst 1995 sammelte. Warum? Ähhm, ich habe mich damals auch am sogenannten "Rande der Legalität" bewegt. Beim durchblättern dieses Ordners wurde ich unerwarteterweise ein bisschen Nostalgisch. Eine versuchte und unvollständige Chronologie der Erinnerungen an eine Zeit mit Volxküchen, Demonstrationen, Besetzungen und "Sauvage" (=kulturelles austoben für eine Nacht) -Veranstaltungen, und das in Aarau, beinahe undenkbar!
31. August 1995: Rund hundert Jugendliche und Junggebliebene besetzen das ehemalige, leerstehende Fabrikgebäude der Elcalor in Aarau. Kein Polizeieinsatz!
1. September: Die Aargauische Gebäudeversicherung (AGVA) als Besitzerin der Liegenschaft verlangt eine Räumung bis zum 4. Spetember.
3. September: In den vergangenen drei Tagen wurde in der ELCALRO eine Volxküche eingerichtet und diverse Konzerte und Discos veranstaltet. Trotz des Ultimatums seitens der AGVA haben wir die verschiedenen Gruppen die Räume provisorisch eingerichtet und in Betrieb genommen. Die BesetzerInnen zeigen Verhandlungsbereitschaft und bieten an, Strom- und Wasserkosten zu übernehmen. Für eine Woche wird die ELCALOR zu einem Begegnungszentrum mit bis über 200 Besuchern täglich. Ein Kino, Fotolabor, Coiffeur, eine Bibliothek, ein Café, eine Bar und eine Brockenstube ensteht in dieser Zeit in der ELCALOR.
8. September: Die AGVA verlangt nach Verwaltungsratsbeschluss die Räumung bis am 11. September.
10. September: Flyer-Aktion der BesetzerInnen in Aarau mit folgendem Inhalt:
"Wir haben Hunger, aber wir werden nicht gerne beim essen gestört. Um 12 Uhr wird gegessen, dummerweise ist die Suppe versalzen. Es entbehrt jeder Logik, vor dem Dessert aufzuräumen, ob kalt oder heiss, wer weiss, bei der Gais. Es soll mehr zurückbleiben als warme Luft auf unserem Verdauungsspaziergang. Jedes Schaf braucht seinen Mittagsschlaf. half a stund', da nickt der Hund. Gut ausgeruht ans Abendwerk, auf dass es wieder morgen wird. Die methodistische Grundlage dieses Textes ist unser Seelenheil. Geil. Gemüse wird geraffelt, - Vorgehensweisen gerüstet. So ja so se Staattabasco. Wo hat's sonst Raum für dieses Gut, Jugend ist nicht gleich ...Haus und Kulur nicht gleich Futterfabrik. très chic, ce flic. Wir flicken den Kahn und schicken ihn auf die Reise. MC elcalor. Megaschön. Koordinaten, im Suchen gefunden und im Halten geblieben. Meuterei und freie Fahrt. Marktgeschrei in der Hafenstadt. Buchstabentaumel - WIR RÄUMEN SELBER AUF!!!
Was auch immer wir damit sagen wollten...
11. september: Die BesetzerInnen ziehen mit halbstündiger Verspätung ab. Kurz darauf wird das Gebäude unbrauchbar gemacht, indem die Fenster und Türen zugemauert werden - ohne Baugesuch, nota bene!
16. spetember: Demo durch Aarau
22. september: Mit mehreren "ELCALOR"-Lampions beteiligen sich die BesetzerInnen am Bachfischet
29. september: In der Nacht besetzen über 100 Junge und Junggebliebene das leerstehende Bürogebäude des Chemieunternehmens ELFA in Aarau. Wenige Stunden später wird das Haus unter brutalem Polizeieinsatz massivem Polizeiaufgebot geräumt. In der Woche darauf folgen willkürlich angeordnete Hausdurchsuchungen (teilweise bei Nichtanwesenheit der BewohnerInnen), Vernehmungen und Erkennungsdienstliche Massnahmen bei insgesamt 15 BesetzerInnen. Zum Teil wurden sie bis zu acht Stunden festgehalten.
12. oktober: Direkt und Indirekt-Betroffene demonstrieren mit einem Zug durch die Bahnhofsstrasse während des Abendverkaufs und erzwingen die Freilassung des letzten Festgehaltenen durch einen Sitzstreik auf der Strasse vor dem KaPpo-Posten.
November/Dezember: Jeweils am Donnerstag Abend (Abendverkauf) organisierten die BesetzerInnen in der Aarauer Igelweid eine mobile Volxküche. Im Schnitt ca. 50 Besucher anwesend, welche es sich bei Bier, Risotto und Konservenmusik gut gehen liessen.
26. Dezember: Das ELCALOR-Gebäude wird Opfer einer Brandstiftung. Die BesetzerInnen distanzieren sich vehement vom Brandanschlag.
Nach dem Winterschlag folgte am Freitag, 17. Mai 1996 eine Sauvage in der leerstehenden Abbruchliegenschaft am Rain 31 in Aarau. Die Besetzung, welche von der stark präsenten Polizei beobachtet wurde, endete um 03.30 Uhr friedlich.
Weitere Sauvage's, Demonstrationen und Protestaktionen (z.B. Saalbau-Einweihung am 7. Juni 1996) begleiteten den heissen Sommer 1996.
Es war wirklich eine verrückte Zeit... aber doch irgendwie schön *inerinnerungenschwelg*. Einen hochachtungsvollen Gruss an alle
PRIATEN OHNE SCHIFF!
8 Kommentare:
.... hach, das waren noch zeiten.... danke für die schöne zusammenfassung, daran erinnere ich mich auch immer mal wieder gerne... die sauvage am rain sowie ein konzert in der elcalor (hi-grip?) sind mir noch in guter erinnerung.
hmmm... schade, dass wir uns da noch nicht kannten :-D
Hallo,
hast du noch viele Dokumente aus dieser Zeit? Wenn ja, könnte man diese mal ein wenig einsehen?
Gruss
@aargrau: ich habe einen relativ dicken ordner mit sämtlichen zeitungsartikeln und flugblätter aus der zeit el calor. mail mir doch, falls du diesen mal durchschauen möchtest! grüessli
bin woll zu doof deine e-mailadrässe zu finden,,,
@anonym: naja, allzu offensichtlich habe ich die nicht eingepflanzt ;-) (panthi@bluewin.ch)
Das Bild zierte vor mindestens 10 Jahren meinen Lieblingskapuzenpulli und meine Herz.
Liebe Grüße,
Anne
der letzte festgehaltene im kapogebäude, das war damals ich..... :-)
witzig was man im netz alles findet....
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