Beim Lesen meiner Sonn-tagslektüre bin ich auf den Bericht von Ivan Ergic über "die EM als trügerischen Schein" ge-stossen und war doch sehr überrascht über sei-ne Gedankengänge und Sichtweise - hätte ich ihm irgendwie gar nicht zugetraut. Nachfolgend den ganzen Text - seiner Länge durchaus bewusst, aber eventuell hat ja der eine oder andere gerade ein bisschen Zeit:
"In dem Moment, in dem der Wanderzirkus namens EM seine Zelte über der Schweiz aufzieht, sollten wir nüchtern das Phänomen "Fussballgrossereignis" betrachten - wie schwie-rig das auch sein mag im Zustand der grossen Ekstase, welche bei jeder teilnehmenden Nation herrscht. Und wie schwierig das auch sein mag, wenn eine Maschinerie von Journalisten, Promotern, Funktionären, Händlern auf künstliche Art diesen trügerischen Schein aufbaut und dafür singt, dass die Euphorie noch grösser wird. Das EM-Motto lässt erahnen, um was es geht: "Erlebe die Emotionen."
Es sehen nur wenige, um welche Art von Emotionen und Trieben es geht - um diejenigen, die einen Menschen de-gradieren können. Die Uefa deklariert mit anderen Insti-tutionen, dass sie mit Emotionen handelt, vergisst dabei aber, dass sie keine Garantien wie bei anderen Handelswaren abgeben kann. Hooliganismus, Beschimpfungen, Saufereien, Prostitution etc. werden schnell als Gesellschaftsprobleme bezeichnet. So ist die Verantwortung auf das nicht fuss-ballerische Gebiet übertragen. So funktioniert der Mech-anismus, aus der Irrationalität normaler Menschen ein Geschäft zu machen.
Neben ihrer schmerzstillenden Wirkung hat sich die EM zur Bühne entwickelt, auf der alle Teilnehmervölker ihre Frus-trationen, Animositäten sowie Sympathien ausdrücken. Und während es anscheinend viel weniger gegenseitige Sympathien gibt, wird deutlich, dass viele Völker noch eine historische, politische oder andere Rechnung offen haben.
Die globale Welle hat einen Reflex ausgelöst. Es geht darum, im Stadion die nationale Identität zu bestätigen. Ausserhalb dieser Ikonografie, dem Revival des kollektiven Ego und Pseudopatriotismus, wird mit Mythen manipuliert. Mit "La Grande Nation" oder ähnlichen Konstrukten, die eine Nation glauben lassen, das auserwählte Volk zu sein.
Wer kann vergessen, wie 2006 die "Bild-Zeitung" das Schweizer Scheitern mit der sehr schönen Sage des präzisen Tell in Verbindung brachte, um die Schweizer zu erniedrigen? Und heute noch wird nicht über schöne Tore, Spiele oder Fairplay geredet, sondern über Zidane und Materazzi.
Den cleveren Strategen solcher Veranstaltungen gelingt es immer wieder, den Menschen das Gefühl zu geben, etwas Existenzielles zu verpassen, wenn sie nicht dabei sind. Hinter allen Maximen steht ein ontologisches Prinzip: "Ich bin an der EM, also bin ich." Dies wird offensichtlich, wenn man sieht, wie gross die Enttäuschung derjenigen ist, die kein Ticket haben. Und wenn die Gleichen versuchen, wenigstens als Volunteers, in Stadionnähe oder im Public Viewing zuzuschauen.
Es bleibt das Zeil, den Geruch des Fussballs mitzuerleben. Alle haben längst kapiert, dass die Angelegenheit elitär, der Eintritt exklusiv ist. Europameisterschaften und Weltmeisterschaften sind zu einem Mythos überepischer Dimension geworden. Oft wird der Begriff "Gladiator" benützt, auch von jenen, die den Fussball immer noch als Kunst darzustellen versuchen. Das ist kein Zufall und deutet darauf hin, dass sich menschliche Vernunft und menschliches Handeln auf dem Niveau des ersten Jahrhunderts befinden.
Meine Erfahrungen an der WM 2006 mit Serbien und Mon-tenegro, dass an einem solchen Turnier alles Mögliche gilt, aber am wenigsten das Menschliche bestimmt, haben meinen Entscheid zum Rücktritt aus dem Nationalteam erleichtert. Ich spiele aber weiterhin Fussball. Weil der Fussball mir gehört und ich nicht dieser Struktur gehöre."
"In dem Moment, in dem der Wanderzirkus namens EM seine Zelte über der Schweiz aufzieht, sollten wir nüchtern das Phänomen "Fussballgrossereignis" betrachten - wie schwie-rig das auch sein mag im Zustand der grossen Ekstase, welche bei jeder teilnehmenden Nation herrscht. Und wie schwierig das auch sein mag, wenn eine Maschinerie von Journalisten, Promotern, Funktionären, Händlern auf künstliche Art diesen trügerischen Schein aufbaut und dafür singt, dass die Euphorie noch grösser wird. Das EM-Motto lässt erahnen, um was es geht: "Erlebe die Emotionen."
Es sehen nur wenige, um welche Art von Emotionen und Trieben es geht - um diejenigen, die einen Menschen de-gradieren können. Die Uefa deklariert mit anderen Insti-tutionen, dass sie mit Emotionen handelt, vergisst dabei aber, dass sie keine Garantien wie bei anderen Handelswaren abgeben kann. Hooliganismus, Beschimpfungen, Saufereien, Prostitution etc. werden schnell als Gesellschaftsprobleme bezeichnet. So ist die Verantwortung auf das nicht fuss-ballerische Gebiet übertragen. So funktioniert der Mech-anismus, aus der Irrationalität normaler Menschen ein Geschäft zu machen.
Neben ihrer schmerzstillenden Wirkung hat sich die EM zur Bühne entwickelt, auf der alle Teilnehmervölker ihre Frus-trationen, Animositäten sowie Sympathien ausdrücken. Und während es anscheinend viel weniger gegenseitige Sympathien gibt, wird deutlich, dass viele Völker noch eine historische, politische oder andere Rechnung offen haben.
Die globale Welle hat einen Reflex ausgelöst. Es geht darum, im Stadion die nationale Identität zu bestätigen. Ausserhalb dieser Ikonografie, dem Revival des kollektiven Ego und Pseudopatriotismus, wird mit Mythen manipuliert. Mit "La Grande Nation" oder ähnlichen Konstrukten, die eine Nation glauben lassen, das auserwählte Volk zu sein.
Wer kann vergessen, wie 2006 die "Bild-Zeitung" das Schweizer Scheitern mit der sehr schönen Sage des präzisen Tell in Verbindung brachte, um die Schweizer zu erniedrigen? Und heute noch wird nicht über schöne Tore, Spiele oder Fairplay geredet, sondern über Zidane und Materazzi.
Den cleveren Strategen solcher Veranstaltungen gelingt es immer wieder, den Menschen das Gefühl zu geben, etwas Existenzielles zu verpassen, wenn sie nicht dabei sind. Hinter allen Maximen steht ein ontologisches Prinzip: "Ich bin an der EM, also bin ich." Dies wird offensichtlich, wenn man sieht, wie gross die Enttäuschung derjenigen ist, die kein Ticket haben. Und wenn die Gleichen versuchen, wenigstens als Volunteers, in Stadionnähe oder im Public Viewing zuzuschauen.
Es bleibt das Zeil, den Geruch des Fussballs mitzuerleben. Alle haben längst kapiert, dass die Angelegenheit elitär, der Eintritt exklusiv ist. Europameisterschaften und Weltmeisterschaften sind zu einem Mythos überepischer Dimension geworden. Oft wird der Begriff "Gladiator" benützt, auch von jenen, die den Fussball immer noch als Kunst darzustellen versuchen. Das ist kein Zufall und deutet darauf hin, dass sich menschliche Vernunft und menschliches Handeln auf dem Niveau des ersten Jahrhunderts befinden.
Meine Erfahrungen an der WM 2006 mit Serbien und Mon-tenegro, dass an einem solchen Turnier alles Mögliche gilt, aber am wenigsten das Menschliche bestimmt, haben meinen Entscheid zum Rücktritt aus dem Nationalteam erleichtert. Ich spiele aber weiterhin Fussball. Weil der Fussball mir gehört und ich nicht dieser Struktur gehöre."
Text aus der SonntagsZeitung vom 30. Dezember 2007 - FCB-Captain Ivan Ergic über die EM als trügerischen Schein - Ein Rückfall ins erste Jahrhundert.
1 Kommentar:
Gescheite Worte momol.
Kommentar veröffentlichen